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Zum Weihnachtslied op.57,6.

Neuausgabe im Carus-Verlag 2001
 
Heinrich von Herzogenberg (geb. 10.6.1843 Graz; gest. 9.10.1900 Wiesbaden), nach Jahren künstlerischen Wirkens in Graz und Leipzig (ab 1872) seit 1885 Kompositionsprofessor in Berlin, schrieb dieses „Weihnachtslied“ im November 1888 während eines längeren Aufenthaltes in Nizza, der seiner Gattin Elisabeth Linderung bringen sollte für ihr Herzleiden und ihm selbst Erholung von den Folgen einer schweren Arthritis, die zu einer Knieoperation im März des Jahres geführt hatte. (Fussnote 1)
Mit dieser Motette als Schlußpunkt erschien dann 1889 die Sammlung op.57 „Sechs Gesänge für gemischten Chor a capella“ mit drei fünfstimmigen und drei sechsstimmigen Vertonungen auf ansonsten nicht geistliche Texte (Rückert, Goethe, Eichendorff, Des Knaben Wunderhorn), die bereits früher entstanden waren (1879).
Am 26.12.1888 sandte Herzogenberg das „Weihnachtslied“ als Geburtstagsgruß seinem Freund und Wegbegleiter Philipp Spitta (geb. 27.12.1841) nach Berlin. Dieser bedankte sich am 10.2.1889 mit den Worten:
„Wahre und herzliche Freude hat mir Dein sechsstimmiger Chor gemacht; die Noten heimelten mich an schon beim Ansehen: diese klaren selbständigen Melodiegänge und meisterlichen Wendungen. In der Art von Polyphonie thut es Dir heute doch keiner gleich. Sehr originell ist die harmonische Disposition.“ (Fussnote 2)
Als die ganze Motettensammlung gedruckt vorliegt, findet der als Bach-Biograph bekannt gewordene Musikwissenschaftler Spitta noch einmal Worte höchsten Lobes:
„Ich muß Dir sagen, daß es so etwas Vollendetes in unserer Zeit nicht wieder giebt. Es ist auch keiner da, außer Dir, der so etwas machen kann. Ich weiß wohl, was Brahms vermag und was er bedeutet, aber so etwas kann er doch nicht.“ (Fussnote 3)
Herzogenberg knüpft stilistisch bewußt bei der Vokalpolyphonie der alten Meister an, welche für ihn den Urzustand reiner Vokalmusik verkörpert. (So die Erklärung in einem Brief an den Widmungsträger Franz Wüllner vom 22.3.1889.) Er weiß damit allerdings eine spezifische textorientierte Expressivität zu verbinden („o! du starker Trost im Leiden“). Wesentlich ist für ihn das Singen mit reinen Terzen, das er auch in seiner eigenen Chorarbeit mit dem Leipziger Bachverein (1876-1885) praktizierte, wo er konsequent ohne Klavier probte.
Der Text dieser Motette ist die erste Strophe eines fünfstrophigen Liedes von Ernst Christoph Homburg (1605-1681), das bis ins 20.Jahrhundert in den Gesangbüchern (vor dem EKG) zu finden war. Herzogenberg faszinierte offenbar die Polarität zwischen banger Frage und Glaubensgewißheit als existentielle Spannung und überträgt dies in die Tonarten-Polarität von g-moll und G-Dur. Die wörtliche Analogie zwischen Anfangs- und Schlußteil läßt die expressiven Seufzer „Kommst du“ mit der kleinen Moll-Sexte mutieren zur gelassenen Dur-Wonne-Sexte „Jesu, komm zu mir“. Die piano-Coda der letzten 15 Takte, unbedingt mit reinen (tiefen) Terzen und Septimen zu singen, ist schönster Ausdruck einer verinnerlichten Adventsfrömmigkeit. Daß am Schluß ein G-Dur-Terzklang steht mit dem Ton H im Sopran, ist kein Zufall. Herzogenberg signiert auf diese Weise gerne persönlich mit seinen Initialen (H-H): „Jesu, komm zu mir“.
In seinem 1894 entstandenen Weihnachtsoratorium Die Geburt Christi (CV 40.196) ist dieselbe Strophe vertont mit der zugehörigen Liedmelodie („Ach, was soll ich Sünder machen“). Hier wird die Polarität noch verstärkt durch den Wechsel vom Adagio zum Allegro. Am Ende steht hier ebenfalls im pianissimo „komm zu mir“ - in einem H-Dur-Schlußklang (sic!).
Die vorliegende Neuausgabe hat die Fassung des Erstdrucks (Leipzig, Rieter-Biedermann 1889) korrigiert nach den Vorgaben des erhaltenen Reinschrift-Manuskripts (Preußische Staatsbibliothek, Musikabteilung, Mus. ms. autogr. Herzogenberg 9), das in Berlin (Haus Unter den Linden) freundlicherweise eingesehen werden konnte. Neben wenigen Präzisierungen bei der Lokalisierung von Dynamik-Angaben betrifft die Korrektur die Stimmführung von Tenor und Baß I in Takt 8f. und bei den analogen Stellen in Takt 20f. und 66f. Der Erstdruck weist hier eine weitere Textwiederholung („Licht der Heiden“) dem Tenor zu, während Baß I pausiert. Da sich in der praktischen Erprobung gerade durch diese Pausen Schwierigkeiten im Baß I einstellten, kehrt diese Ausgabe zur ursprünglichen Fassung zurück. Die Orthographie des Textes wurde modernisiert.
Erlangen, August 2000

Konrad Klek


 
 
  1. Zu den biographischen Details siehe Bernd Wiechert, Heinrich von Herzogenberg. Studien zu Leben und Werk, Göttingen 1997. zurück
  2. Für die Übermittlung dieses Briefzitates danke ich Herrn Dr.Wiechert herzlich. zurück
  3. Brief Ph.Spittas an Herzogenberg v. 30.5.1889, zitiert bei B.Wiechert, aaO S.126. zurück
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