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Heinrich von Herzogenberg: Psalm 94 op. 60

"Herr, Gott, des die Rache ist"

für vier Solostimmen, Doppel-Chor, Orchester und Orgel

 
Am Sonntag, dem 25. Februar 2001 wurden in der Stuttgarter Domkirche St. Eberhard unter dem Leitthema "Sinfonische Psalmen" drei Werke zur Aufführung gebracht, denen neben der Bezugsquelle gemeinsam war, in unserer Zeit noch gar nie oder kaum je aufgeführt worden zu sein. Im Falle des Psalm 94 von Heinrich von Herzogenberg dürfte die letzte Aufführung weit über 100 Jahre zurück gelegen haben. Unter der Leitung von Helmut Wolf sangen Petra Labitzke (Sopran), Kathrin Koch (Alt), Jan Vacik (Tenor), Hernan Iturralde (Bass) und der Philharmonia Chor Stuttgart, es spielte die Württembergische Philharmonie Reutlingen. Auf dem Programm standen:
 
Franz Liszt: Der 13. Psalm
Hermann Goetz: Der 137. Psalm
Heinrich von Herzogenberg: Psalm 94
 
         Heinrich von Herzogenberg stammt aus einer Grazer Adelsfamilie. Während seines Musikstudiums in Wien lernte er Brahms kennen, mit dem ihn dann eine lebenslange Freundschaft verband. Diese Freundschaft übertrug sich später auch auf seine Frau Elisabeth, der Brahms zeitlebens sehr zugetan war.
 
         Zehn Jahre lang (1875-1885) leitete Herzogenberg in Leipzig den Bachverein, der in dieser Zeit mehr als die Thomaner das Zentrum der Bachpflege war. Danach wurde er als Professor für Komposition an die Königliche Musikhochschule und als Mitglied des Senats der Akademie der Künste nach Berlin berufen. Krankheit erzwang eine Unterbrechung und im Frühjahr 1900 die völlige Aufgabe der Lehrtätigkeit. Im Herbst dieses Jahres starb er, 57-jährig, in Wiesbaden.
 
         Ausser der Oper sind in seinem Werkverzeichnis alle Gattungen vertreten. Seit 1892, nach dem frühen Tod seiner Frau (sie starb mit 44 Jahren), galt sein Schaffen verstärkt der evangelischen Kirchenmusik im Zusammenhang mit einer kirchenmusikalischen Bewegung um die Jahrhundertwende, die sich für eine stärkere liturgische Einbindung der Musik und die Beteiligung der Gemeinde einsetzte. Dafür schuf er viele Motetten und die Kirchenoratorien "Die Geburt Christi", "Die Passion", "Erntefeier").
 
         Herzogenberg war ein konservativer Romantiker, anfänglich zwar von Schumann und Wagner beeinflusst, dann aber mit starker Neigung zur Musik früherer Zeiten und mit Brahms als verehrtem Vorbild. Er verschloss sich den harmonischen Avanciertheiten der "Neudeutschen Schule". Immer zu bewundern ist seine formale und satztechnische Meisterschaft - sein Freund Friedrich Spitta spricht von einer "ureigentümlichen Neigung zur Polyphonie und musikalischen Architektonik".
 
         Dies zeigt sich gleich im ersten Satz seines Psalm 94, einem machtvollen Doppelchor mit klarer dreiteiliger Gliederung, dessen Mittelteil in Tonart (e-Moll), Takt (12/8) und Anlage (doppelchörig, Wechsel zwischen fugierten und homophonen Partien) an Bachs Einleitungschor zur Matthäuspassion denken lässt. Als Nummer 2 gibt eine lebhafte, dramatische "Arie mit Chor" dem Bass-Solisten Gelegenheit zur Profilierung. Im folgenden Doppelchor stehen sich zwei Gruppen gegenüber: die Gottlosen (Chor II "Der Herr sieht es nicht...") und die Gott um Hilfe Anrufenden (Chor I) mit der Aufnahme des Themas aus Nr. 1 ("Erhebe dich, du Richter der Welt"). Eine Wiederholung der Anfangsworte beschiesst den ersten Teil.
 
         Altertümliche Harmonik und blockhaftes Abwechseln der beiden Chöre charakterisieren die kurze Einleitung des zweiten Teils. In Nr. 5 kommen das einzige Mal alle vier Solisten zu Wort unterbrochen durch die Fuge von Chor I mit wilden Verwünschungen ("Bis den Gottlosen die Grube bereitet werde"), Satz 6 zieht in einer vom Text nicht unbedingt vorgegebenen Vehemenz vorüber - das Textwort "verstossen" scheint bestimmend für den Charakater des Satzes.
 
         Der Text des Psalms 94 führt danach mit weiteren neuen Versen die Thematik des Anfangs fort: Rache gegen die Unterdrücker, Beistand für die Frommen. Herzogenberg hat sie nicht mehr vertont, sondern zum Ende den sieghaften Vers 1 des Psalms 93 angefügt. Dieser gross dimensionierte Schlusssatz ist als Fuge mit drei Themen konzipiert - ein Meisterwerk kontrapunktischer, an Bach und Händel gemahnender Verarbeitung. Straff punktierte Rhythmen leiten das fanfarenartige erste Thema ein ("Der Herr ist König"). Mit Koleraturen kommt das zweite daher ("Und hat ein Reich angefangen"). Danach werden beide kombiniert. Ein drittes Thema bringt den Text ("Und zurichten, dass es bleiben soll"). Die ersten beiden erscheinen nochmals, danach folgt eine Coda, breit ausschwingend, nicht auf blossen Steigerungseffekt bedacht, dennoch machtvoll: "In Ewigkeit, Amen".

Helmut Wolf

 
Helmut Wolf
 
         Geboren 1939 in Schwäbisch Hall. Studium der Germanistik, Musikwissenschaft, Schulmusik und Kirchenmusik in Tübingen und Stuttgart; Kapellmeister-Studium in Berlin und Stuttgart. Kapellmeister an den Theatern Ulm und Oldenburg. Kirchenmusiker in Böblingen, 1979 Kirchenmusikdirektor .
 
         Lehrtätigkeit im Fach Dirigieren an verschiedenen Instituten. Seit 1984 Professor für Orchsterdirigieren/Ensembleleitung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart. Viele Jahre Gastdirigent des Südfunk-Chors Stuttgart. Zahlreiche Rundfunk- und CD-Aufnahmen mit vokalen und instrumentalen Ensembles, besonder im Bereich der neuen Musik. Zusammenarbeit mit Sinfonieorchestern, Kammerorchestern und Chören im In- und Ausland. Seit 1986 ist Helmut Wolf künstlerischer Leiter des Philharmonia Chores Stuttgart.
 
Heinrich von Herzogenberg
PSALM 94 op. 60

 
Teil 1
  • 1. Doppelchor
    Herr Gott, des die Rache ist,
    Gott, dess die Rache ist, erscheine!
     
    Erhebe dich, du Richter der Welt,
    vergilt den Hoffärtigen, was sie verdienen!
     
    2. Bass und Chor I
    Herr, wie lange sollen die Gottlosen,
    wie lange sollen die Gottlosen prahlen
     
    Und so trotzig reden,
    und alle üBelthäter sich so rühmen?
     
    Herr, sie zerschlagen dein Volk
    und plagen dein Erbe.
     
    Witwen und Fremdlinge erwürgen sie
    und töten die Waisen und sagen:
     
    3. Doppelchor
    "Der Herr sieht es nicht,
    und der Gott Jakobs achtet es nicht."
     
Teil 2
  • 4. Doppelchor
    Aber der Herr weiss die Gedanken der Menschen,
    dass sie eitel sind.
     
    5. Soloquartett und Chor I
    Wohl dem, den du, Herr, züchtigest.
    und lehrest ihn durch dein Gesetz,
     
    Dass er Geduld habe, wenn es übel gehet,
    bis den Gottlosen die Grube bereitet werde.
     
    6. Chor II
    Denn der Herr wird sein Volk nicht verstossen,
    noch sein Erbe verlassen.
     
    7. Doppelchor
    Der Herr ist König und herrlich geschmückt,
    der Herr ist geschmückt,
     
    und hat ein Reich angefangen,
    so weit die Welt ist,
     
    und zugerichtet, dass es bleiben soll.
    In Ewigkeit, Amen!

 
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