Herzogenberg und Heiden
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Das «Morgenroth», wie es sich um 2004 zeigt.
 

Hermann Schmid, Biologe, Verfasser dieses Artikels.
 

Vom Abendroth zum Morgenroth. Nur Insidern bekannte Zusammenhänge.

Der heute Besitzer des «Morgenroth», Hermann Schmid, berichtet über die Geschichte seines alten Bauernhauses, das 1898 von Heinrich von Herzogenberg vom Nachbarhaus «Abendroth» für die Berliner Musikprofessorin Elise Breiderhoff-Frey umgebaut wurde und während 20 Jahren zu einem Sommertreffpunkt für Prominenz aus Musik und Literatur wurde, bis sein Vater, Emil Schmid, es 1920 übernahm. Die Illustrationen stammen aus dem Gästebuch des «Morgenroth». (Jedes Bild lässt sich mit Klick vergrössern).

 

 

Einbanddeckel vorne

Hermann Schmid

Das Morgenroth und sein Fremdenbuch

 

Viel wurde über Heinrich von Herzogenberg und das ‹Abendroth› geschrieben, meist realistisch und gut dokumentiert, oder aber dichterisch verfremdet, wie in Wildenbruchs Novelle «Das tote Haus am Bodensee», mit der die Herzogenberg-Tage 2002 eingeleitet wurden. Weniger bekannt ist, dass sich seewärts vom ‹Abendroth›, nur einen Steinwurf entfernt, ein ehemaliges Appenzeller Bauernhaus an den Hang schmiegt, welches ‹Morgenroth› genannt wird. Diese Namensverwandtschaft ist kein Zufall, bestanden doch enge Zusammenhänge zwischen den beiden Häusern. Der erste Eintrag im erhalten gebliebenen «Fremdenbuch für Häuslein Morgenroth» (gestiftet von Auguste Grimm, Tochter des Märchendichters Wilhelm Grimm) ist rechts abgebildet.

 

 



(Alle Abbildungen auf dieser Seite können mit Klick vergrössert werden!)

Der Eröffnungseintrag im «Fremdenbuch Häuslein Morgenroth»:
gewidmet von Auguste Grimm, der Tochter des

Märchendichters Wilhelm Grimm.

 

Herzogenberg als Baumeister an der Einweihungsfeier des «Morgenroth».
Datiert: 16. Juli 1898, 4 Uhr Nachm. (Vergrössern Sie das Bild mit Klick, dann erfahren Sie, dass das Nachtessen aus Kalbsbraten mit saurer Rahmsauce etc. etc. bestand ).
 

Herzogenberg als Baumeister, oder besser gesagt als Architekt? Das war nichts Neues. Er hatte, zusammen mit seiner Frau, schon die Pläne für das ‹Abendroth› angefertigt und genauestens auf ihre und seine Bedürfnisse abgestimmt. Doch wie kam er dazu, auch den Umbau seines Nachbarhauses zu planen und zu leiten?

Unter den vielen Besuchern, die im ‹Abendroth› ein und aus gingen, war auch Herzogenbergs Kollegin Elise Breiderhoff. Ihr gefiel es ausserordentlich gut in Heiden und sie ergriff die Gelegenheit, für ihre Sommerurlaube das kleine, ca. 1803 erbaute Bauernhaus unterhalb des ‹Abendroth›, mit wunderbarer Aussicht auf den Bodensee, zu kaufen. Da war es für Herzogenberg wohl eine erwünschte Abwechslung, sich neben dem Komponieren auf einem ganz anderen Gebiet kreativ zu betätigen. Nicht ohne berechtigten Stolz wird er, zusammen mit Helene Hauptmann, die aus Berlin angereiste Hausbesitzerin empfangen haben. Bemerkenswert ist das Datum des 16. Juli 1898, nur 14 Tage nach Fertigstellung der Partitur zur «Erntefeier», dem Höhepunkt der Herzogenberg-Tage 2002.

 

Elise Breiderhoff-Frey. Bleistiftzeichnung von Emil Schmid.
Handschriftlicher Kommentar des Zeichners:
«Elise Breiderhoff, geb. Frey, 21. März 1849 - 1940 i. Luckau, Lausitz. 1917 gezeichnet während ihres Sommeraufenthaltes in Heiden, wo sie von 1898 bis 1918 jeden Sommer weilte.

 

 

Goethes Geburtstag am 28. August 1898 und «Fahnenweihe» am 7. September 1898! Zahlreiche Grössen, vornehmlich aus der Musikwelt, sind dabei: u.a. Alfred Volkland, Ansgar Spitta, Festknaller; Mietze Friedheim, Appenzeller Zschischgeli; Zimmermeister Schläpfer und Flaschner Gebert, (lokale Handwerker), Festklopfer; Friedrich (Fritz) Spitta, Festredner; H. Herzogenberg.
 

Frau Breiderhoff stammte aus Luckau in der Lausitz, 60 km südlich von Berlin. Sie war Professorin für Gesang an der Musikhochschule Berlin. Von 1898 bis 1918 verbrachte sie die Sommermonate in Heiden, in der Regel von Mitte Juli bis gegen Ende September. Stets wurde sie begleitet von ihrer geliebten Pflegetochter Hedwig Mattner (die während der Zeit des Nationalsozialismus in einer psychiatrischen Klinik umgebracht wurde) und meist einigen ihrer Gesangs-Schülerinnen. Das «Fremdenbuch» belegt, dass auch im ‹Morgenroth› fast unbegrenzte Gastfreundschaft gepflegt wurde. Viele Besucher waren in beiden Nachbarhäusern zu Gast. Leider dauerte das unbeschwerte, freundschaftliche Neben- und Miteinander von ‹Abend- und Morgenroth› nur einen Sommer lang. Schon 1899 tauchen zwar die Namen von gemeinsamen Freunden noch im Gästebuch auf, jener von Heinrich von Herzogenberg aber nicht mehr, obschon dieser noch einige Wochen in Heiden verbrachte, zum letzten Mal. Offenbar war er schon so krank (und auf den Rollstuhl angewiesen), dass der Weg ins ‹Morgenroth› zu beschwerlich war.

Der Eintrag zu Goethes 150. Geburtstag am 28. August 1899:
Carl Markees, Geiger, Musikpädagoge und Komponist, und Ernst Thomas Markees, Pianist, Komponist und Musikpädagoge.

 

Prominente Gäste im Morgenroth. Zu erkennende Unterschriften:
10. August 1898: Robert Radecke, Komponist, Dirigent und Musikpädagoge (zu sehen auf dem Senat-Gruppenbild am Ende dieser Seite).
 

Im «Morgenroth» herrschte weiterhin ein fröhliches Gesellschaftsleben. Elise Breiderhoff muss eine ausgezeichnete Gastgeberin gewesen sein, denn das Gästebuch ist voll von überschwänglichen Dankbarkeitsbezeugungen, teilweise in Versform oder als Zeichnungen. Es wurden Hauskonzerte gegeben (auch unter Mitwirkung von hervorragenden Musikern aus dem Kreis der Gäste), kostümierte Singspiele wurden aufgeführt, es wurde gekegelt und - nicht zuletzt - gut gegessen. Besonders gefeiert wurde stets Goethes Geburtstag am 28. August. Leider ist die im Gästebuch zumeist verwendete Deutsche Kurrentschrift oft fast nicht zu entziffern, sodass wahrscheinlich noch einige Trouvaillen zu machen wären (wer hilft uns?).

 

Italienische Nacht vom 23. August 1898:
Alfred Volkland, Dirigent und Pianist.

 

Weitere Unterschriften von prominenten Besuchern:
13. September 1898: Der Violinvirtuose Joseph Joachim, dem Herzogenberg sein Violinkonzert A-Dur und die Bearbeitung des Mozart-Rondos KV 511 für Violine und Orchester gewidmet hatte.

 

Die Gästeliste umfasst neben «gewöhnlichen» Leuten naturgemäss zahlreiche Musiker und andere Exponenten des kulturellen Lebens, oft Jahr für Jahr die selben. Auffallend häufig - und für uns Schweizer ungewohnt - erscheinen Personen mit einem ‹von› im Namen oder gar einem Adelstitel. Stellvertretend seien einige bemerkenswerte Gäste erwähnt:

- Helene Hauptmann, «Mädchen für Alles», treu besorgte Gefährtin Herzogenbergs während seinen letzten Jahren, Tochter von Thomaskantor Moritz Hauptmann, Leipzig. Nach dem Tode Heinrich von Herzogenbergs war Helene Hauptmann von 1901 bis 1913 fast jeden Sommer Gast von Elise Breiderhoff im ‹Morgenroth›. Leider ist über ihr weiteres Leben nichts in Erfahrung zu bringen.
- Joseph Joachim, Geigenvirtuose, seit 1868 Direktor der neu gegründeten kgl. Musikhochschule in Berlin, sowie sein Sohn Johannes Joachim, Patensohn von Johannes Brahms und Elise Breiderhoff.
- Friedrich ‹Fritz› Spitta, Theologieprofessor in Strassburg, der für Herzogenberg die Texte zu dessen kirchlichen Werken verfasste.
- Karl Klingler vom berühmten Klingler-Quartett.
- Dr. F. Stockhausen. Elisabeth von Herzogenberg war eine geborene Stockhausen.
- Ernst von Wildenbruch, Dichter patriotischer Lieder und von Pathos getragener Balladen. Als Dramatiker der wilhelminischen Zeit behandelte er mit Neigung zum Theatralischen historische und patriotische Stoffe. - Wildenbruch trug sich am 15. und 17. August 1902 ins Gästebuch des ‹Morgenroth› ein, anlässlich seines Besuchs im ‹Abendroth› mit seinen verschlossenen Fensterläden und verschalten Balkonen. In der Folge schrieb er «Das tote Haus am Bodensee».
- Wilhelm und Rose Röchling von der Eisen- und Stahlwerke GmbH in Völklingen/Saar, neue Besitzer des ‹Abendroth›.
- Robert Radecke, Komponist, Dirigent und Musikpädagoge

Der Eintrag von Ernst von Wildenbruch vom 17. August 1902.
Seine dramatische Reiseschilderung «Das tote Haus am Bodensee» war Auslöser der Herzogenberg-Renaissance in Heiden ab dem Jahre 2000. Lesen Sie die emotionalen Gefühle des Dramatikers bei seinem Rundgang durch das verwaiste «Abendroth»!

 

Goethes Geburtstag am 28. August 1903
Der 28. August war über Jahre der wichtigste Tag im «Morgenroth».
Johann Wolfgang von Goethes Geburtstag wurde jedes Jahr gebührend gefeiert.
 

Ein Aquarellbild als Bereicherung
gezeichnet von der Sängerin Johanna Wolff im Juli 1910. Ihr Name findet sich erstmal 1899, anschliessend jeden Sommer bis 1915.

 

Trotz der Kriegsjahre: das sommerliche fröhliche Leben im «Morgenroth» geht weiter doch die Bildwahl lässt auf die schwierigen Umstände ahnen.

 

Eine muntere Gesellschaft am 2. August 1917.
Unter den zahlreichen Unterschriften ist jene von Thea Graf zu erkennen. Wer im «Morgenroth» nicht mehr Platz hatte, wohnte bei ihr in der nahegelegenen Pension Nord.
 

Der spätere Kunstmaler und Radierer Emil Schmid (Dokumentarfilm des Museums Heiden über Emil Schmid) aus Heiden fand schon als Knabe Gefallen am idyllischen «Morgenroth» und er zeichnete es auch. Dabei traf er erstmals mit Frau Prof. Breiderhoff zusammen. In näheren Kontakt mit ihr kam er aber erst  viel später durch internierte deutsche Offiziere, die 1917 in der Pension «Paradies» in Heiden einquartiert waren. Frau Breiderhoff lud einige von ihnen zu Hauskonzerten ein und sie durften auch den jungen Maler, der ihr Nachbar war, mitbringen. Thea Graf von der Pension Nord gehörte ebenfalls zu den Gästen. Emil Schmid wurde in den Sommern 1917 und 1918 immer wieder eingeladen und kam so zum Beispiel in den Genuss sämtlicher Klaviersonaten von Beethoven, an vielen Abenden gespielt von Karl Salewski, dem Direktor des Konservatoriums in Erfurt.

  

 Hauskonzert im «Morgenroth» 1918.
Zeichnung von Paul Tanner, Kunstmaler in Herisau, Schöpfer der Ausserrhoder Frauentracht. Zu finden sind u.a. die Unterschriften von Nelly und Otto Maag.

Der letzte Eintrag von Nelly und Otto Maag im Gästebuch am 16. September 1918
2 Jahre später schreibt Emil Schmid ein Schlusswort mit einer Foto des «Morgenroth». 1968 schliesslich berichtet Schmid über den zweifelhaften Charakter vom Maag.
 

Nach dem ersten Weltkrieg machte sich in Deutschland eine immer katastrophalere Inflation bemerkbar. 1919 konnte Frau Breiderhoff nicht mehr in die Schweiz reisen und schliesslich war sie gezwungen, ihr geliebtes «Morgenroth» zu veräussern. Sie bot es Emil Schmid an. Sie wusste, dass es bei ihm in guten Händen sein würde. Im Herbst 1920 konnte er die Liegenschaft übernehmen. Im April 1921, frisch verheiratet, gründete er darin einen eigenen Hausstand und lebte dort bis zu seinem Tod 1978.

1929, anlässlich ihres 80. Geburtstags, kam Elise Breiderhoff ein letztes Mal nach Heiden, sie logierte in der Pension Nord.

Hermann Schmid

 

Quellen:
-  «Fremdenbuch für Häuslein Morgenroth»
-  Mündliche Überlieferung durch Emil Schmid
-  Mündliche und briefliche Angaben von Dr. Bernd Wiechert
-  Konrad Klek: Herzogenberg in Heiden (in: Musik und Gottesdienst - Zeitschrift für evangelische Kirchenmusik, Heft 4, 2002. Friedrich Reinhardt Verlag)
-  Anregungen von Andres Stehli
-  Lexika

 

 

Einbanddeckel hinten

 

«Morgenroth». Radierung von Emil Schmid, Oktober 1921.
Das «Morgenroth» im Zustand, wie er es von Frau Breiderhoff übernommen hatte. Im ehemaligen Stall-Trakt befand sich das Musikzimmer mit der Fensterfront gegen Nordosten, also dem Morgenrot am Sonnenhimmel zugewandt.
 

 
Und so zeigte sich das «Morgenroth» am 23. September 2006.
Hier wohnt zu diesem Zeitpunkt der Sohn, Hermann Schmid. Im Anbau mit der hohen Fensterfront hatte Emil Schmid sein Atelier eingerichtet.

 
 

 


Klick!

Möchten Sie den Kunstmaler Emil Schmid kennenlernen?

Hier gelangen Sie zum Film «Emil Schmid Maler der Stille», den das Museum Heiden zur Sonderausstellung geschaffen hatte.

  

 


 

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multimediale Filmportrait ab:

«Herzogenberg und Heiden»
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Dauer: 28:22 Min
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01.04.2021/Andres Stehli

 

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