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Hier ein musikwissenschaftlicher Beitrag des Autors dieser Werkeinführung mit dem Titel «Komponieren als Trauerarbeit»


Heinrich von Herzogenberg:


«Totenfeier»


Oratorische Kantate zu Tod und Auferstehung

für Soli, Chor, Orchester und Orgel op. 80

 

Herzogenbergs «Totenfeier» ist als ganz persönliches Requiem ein einzigartiges Zeugnis für die Lebenskraft der Musik. Am 7. Januar 1892 starb 44-jährig Elisabeth von Herzogenberg in San Remo infolge eines Herzleidens, eine hochbegabte Frau, die noch stärker als ihr Mann den Kontakt mit Brahms und den Austausch mit diesem über künstlerische Fragen gepflegt hatte.
 
Am Ende des ersten Trauerjahres - über Weihnachten 1892 - komponierte Herzogenberg in nur 8 Tagen die «Totenfeier» auf selbst zusammengestellte Bibelworte und Choralstrophen, offenbar mit Bezug auf die Worte, welche bei der Bestattung von Elisabeth gesprochen worden waren. In weiteren 10 Tagen schrieb er die Partitur aus, um genau am 1. Todestag fertig zu sein und so die Trauerphase abzuschließen. (Die autographe Partitur mit Datierungen ist glücklicher Weise erhalten.) So ist das Werk ein einzigartiges künstlerisches Dokument persönlicher Trauerarbeit mit der Pointe: Das Leben hat eine Zukunft!
 
Im Unterschied zur Ringform des Brahms-Requiems wird hier ein Weg abgeschritten, der Weg von allgemeiner Vergänglichkeitsklage und persönlichem Aufschrei «Herr, warum trittst du so ferne?» zur Akzeptanz des Leides im Vertrauen auf das Christuswort «Ich bin die Auferstehung und das Leben». Diesem Wegcharakter entsprechend gehen im ersten Teil die Sätze direkt ineinander über, und die Hörer werden durch die Inszenierung der Gottesstimme als «Stimme aus der Ferne» mitten hinein genommen. Herzogenberg sagt mit den Worten des Bass-Solisten von Anfang an ganz persönlich «Ich» und verarbeitet so künstlerisch seinen eigenen Weg des Trauerns.
 
Mit der unbegleitet einsetzenden Sopran-Solistin in Satz IV bricht die qualitativ neue Lebenswirklichkeit aus der Auferstehung Christi ein, die vom Chor als Glaubens-Aussage angenommen wird.
 
Im zweiten Teil bezeugt Herzogenberg den selbst erfahrenen Trost zunächst wieder mit der Stimme des Bass-Solisten und entfaltet dies dann in verschiedener Hinsicht: In der Erfahrung von Gottverlassenheit gewährt Gott Trost «ohn alle Massen»; es gibt eine Perspektive für ein Leben ohne Trauer voller „Lachen und Rühmen“; eine klanglich einzigartige Sopran-Arie über Psalm 84 «Wie lieblich sind deine Wohnungen» ist als gleichsam verzückter religiöser Traum gestaltet. Am Schluss formuliert der Bass-Solist mit Worten Hiobs seine Akzeptanz der Leiderfahrung als Befreiung zum Gotteslob. Der Schlusschoral - im erhabenen Zeitmass und mit grossen, orchestral entfalteten Fermaten - spricht in der Bildmotivik des Palmsonntags die Bereitschaft aus, den kommenden Christus «mit Lobgesang zu empfangen». Leben mit dem Tod wird also möglich als erfülltes Leben mit dem kommenden Christus.

 Herzogenbergs Musik ist geradezu mitreißend in der plastischen Gestaltung von Klage wie Zuspruch und Gotteslob mit allen Mitteln des symphonisch orchestralen Apparates.

 Die Wiedererstaufführung des Werkes – nach Wiederauffinden des seit 1945 verschollenen Aufführungsmaterials – am Totensonntag 1997 in Nürtingen am Neckar hinterließ einen tiefen Eindruck bei Mitwirkenden wie Hörern. Gegenüber dem im selben Konzert dargebotenen Brahms-Requiem wurde Herzogenbergs Werk sogar eine stärkere Unmittelbarkeit in Ausdruck und Wirkung auf die Hörer bescheinigt.

 Seither ist das ca. 45minütige Werk nicht wieder aufgeführt worden. Die Aufführung im Rahmen des Bodenseefestivals 2005 hat also durchaus Seltenheitswert.

Konrad Klek

 

Heinrich von Herzogenberg: Totenfeier

Oratorische Kantate für Soli, Chor, Orchester und Orgel op. 80
 
 
1. Teil
 
I. Einleitung: Trauermarsch mit Chor
       Der Mensch, vom Weibe geboren lebt nur kurze Zeit, und ist voll Unruhe, gehet auf wie eine Blume, und fällt ab, fliehet wie ein Schatten, und bleibet nicht.
 
II. Rezitativ und Arie, Bass
       Herr! warum tritts du so ferne? Herr, sei mir gnädig, denn ich bin schwach; heile mich, Herr, denn meine Gebeine sind erschrocken und meine Seele ist sehr erschrocken; ach du Herr, wie lange.
Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, und mein Herz im Leibe ist wie zerschmolzenes Wachs. Ich schwemme mein Bett die ganze Nacht, und netze mit Tränen mein Lager. Ich bin so müde von Seufzen, und meine Gestalt ist verfallen vor Trauern, und ist alt geworden. Mein Gott, warum hast du mich verlassen?
 
III. Alt-Solo und Choral
       Alt: Was ich tue, spricht der Herr, das weißt du jetzt nicht, du wirst es aber hernach erfahren. Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und meine Wege sind nicht eure Wege. So viel der Himmel höher ist denn die Erde, so sind auch meine Gedanken und meine Wege höher als die euren.
Bass-Chor: Ich lieg' im Streit und widerstreb', hilf Herr Christ dem Schwachen! An deiner Gnad allein ich kleb', du kannst mich stärker machen. Kommt nun Anfechtung her, so wehr; dass sie mich nicht umstossen, du kannst maassen, dass mir's nicht bring' Gefähr, ich weiss, du wirst's nicht lassen.
 
IV. Chor und Sopran-Solo
       Solo: Ich bin die Auferstehung und das Leben
Chor: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe.
  
2. Teil
 V. Rezitativ und Arie, Bass
       Da ich den Herrn suchte, antwortete er mir und errettete mich aus aller meiner Furcht. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du Gott allezeit doch meines Herzens Trost und mein Theil.
 
VI. Soloquartett und Choral
       Ich hab' dich eine kleine Zeit, o liebes Kind, verlassen, sieh, aber sieh! mit grossem Glück und Trost ohne alle Maassen will ich dir schon die Freudenkron aufsetzen und verehren, dein kurzes Leid soll sich in Freud und ewig Wohl verkehren.
 
VII. Chor
       Wenn der Herr die Gefangenen Sions erlösen wird, dann werden sie sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens sein, und unsre Zunge voll Rühmens.
 
VIII. Sopran-Arie
       Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth! Der Vogel hat ein Haus gefunden, und die Schwalbe ein Nest: deine Altäre, Herr Zebaoth! Sela!
 
IX. Bass-Solo und Schluss-Choral
       Bass: Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobet!
Chor: Auf, Tochter, auf! des Königs Glanz bricht an, geh ihm heraus entgegen auf die Gassen, beut' ihm das Herz, da er dich will umfassen, breit' dein Gewand, streu Palmen auf die Bahn; wir wollen ihn, da er sich uns will nahen, von Ferne schon mit Lobgesang empfahen.
 


Nachbemerkung
Am 23. November 1997 wurde die «Totenfeier» erstmals in der Neuzeit wieder aufgeführt. Die Ausführenden waren:

Angelika Luz (Stuttgart), Sopran
Dorothee Grünwedl (Nürtingen), Alt
Ernst-Wolfgang Lauer (Stuttgart), Bariton
Württembergische Philharmonie Reutlingen
Dieter Alber, Orgel
Nürtinger Kantorei
Leitung: Konrad Klek

Prof. Dr. Konrad Klek gibt gerne Auskunft zur Ausführungspraxis

Hier ein musikwissenschaftlicher Beitrag des Autors dieser Werkeinführung mit dem Titel «Komponieren als Trauerarbeit»

Eine Live-Mitschnitt-CD der Aufführung vom 23. November 1997 in der Ev. Stadtkirche St. Laurentius Nürtingen kann bestellt werden in unserem CD-Kiosk

 

 

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